Der Besuch der alten Dame

Inszenierung Frank Hoffmann
Bühne Ben Willikens Kostüme Susann Biehling Musik René Nuss Dramaturgie Florian Hirsch

Maria Happel Claire Zachanassian Rolf Mautz Ihre Gatten VII – IX/Pressemann Hans Dieter Knebel Butler Burghart Klaußner Alfred Ill Petra Morzé Mathilde Ill Roland Koch Bürgermeister  Dietmar König Lehrer Daniel Jesch Polizist Marcus Kiepe Arzt/Hofbauer Michael Abendroth Pfarrer/Helmesberger Harald Retschitzegger Franz Schöffthaler Peter Nitsche Die falschen Zeugen

 

Friedrich Dürrenmatts Drama „Der Besuch der alten Dame“, uraufgeführt im Jahr 1956, gilt als eines der bedeutendsten Werke der modernen deutschsprachigen Theaterliteratur. In dieser komödiantisch gestalteten Tragödie verbindet Dürrenmatt elementare menschliche Themen wie Rache, Schuld und den moralischen Verfall einer Gesellschaft.

Die Handlung spielt in der fiktiven Stadt Güllen und dreht sich um die Rückkehr der wohlhabenden Claire Zachanassian, die einst in ihrer Heimatgemeinde verraten wurde und nun, ausgestattet mit unermesslichem Reichtum, eine verhängnisvolle Forderung an die Stadt stellt.

Durch diese Konstellation eröffnet Dürrenmatt ein komplexes Gefüge aus sozialer Kritik und psychologischen Einsichten, das auch heute noch von brennender Aktualität ist.

Die zentrale Figur des Dramas, Claire Zachanassian, ist ein äußerst ambivalentes Charakterbild. Sie kommt nicht nur als reiche, alte Dame zurück, sondern als Symbol für Gerechtigkeit und Vergeltung.

Ihre Absicht, den Bürgermeister und die Bürger Güllens zu zwingen, ihr den Kopf ihres ehemaligen Geliebten Alfred Ill zu übergeben, verdeutlicht die Themen Macht und Geld. Das Stück thematisiert die ethischen Fragestellungen rund um den Einfluss von Reichtum und den Verfall individueller Moral in einer Gesellschaft, die sich dem Geld unterwirft.

Hierbei offenbart Dürrenmatt ein düsteres Bild der Menschheit, welches den Zuschauer dazu anregt, über seine eigenen Werte und das Verhältnis zwischen Wohlstand und moralischem Handeln nachzudenken.

In der Dramaturgie des Stückes sind vor allem die Struktur und der Aufbau von Bedeutung. Dürrenmatt bedient sich einer klassischen Fünf-Akt-Struktur, jedoch bricht er mit konventionellen dramaturgischen Regeln, indem er die Spannung durch die Zuspitzung von Konflikten und die Geschwindigkeit der Handlung aufrechterhält.

Der Wechsel zwischen ernsten und komischen Elementen sorgt für eine ungewohnte Intensität. Dürrenmatt nutzt dieses Spannungsverhältnis, um den Zuschauer sowohl zum Lachen als auch zum Nachdenken zu bringen.

Die Komik entsteht oft aus grotesken Situationen und den absurden Entscheidungen der Stadtbewohner, die immer mehr bereit sind, ihre moralischen Prinzipien aufzugeben.

Ein weiteres zentrales Element des Dramas ist der Umgang mit Zeit und Raum. Die Handlung spielt sich fast ausschließlich in der Stadt Güllen ab, was den Eindruck einer abgeschlossenen Welt verstärkt. Diese Ortsgebundenheit symbolisiert nicht nur die Isolation der Charaktere, sondern auch einen Mikrokosmos, in dem sich gesellschaftliche Dynamiken und menschliche Abgründe offenbaren.

Zeitlich wird die Gegenwart Güllens durch ständige Rückblenden und Erinnerungen an die Vergangenheit Claires konturiert. Dies führt zu einer Reflexion über das Handeln und die Auswirkungen von Entscheidungen, sowohl individuell als auch kollektive Schuld.

Das Stück enthält auch eine Vielzahl an personifizierten Konflikten, die tiefere Themen ansprechen. Alfred Ill, der Hauptprotagonist, steht exemplarisch für den schleichenden Verfall von Werten und die menschliche Schwäche. Seine Wandlung vom selbstbewussten Geschäftsmann, der glaubt, die Kontrolle über sein Leben zu behalten, hin zum verzweifelten Mann, der vor seiner alten Liebe und der Macht des Geldes kapituliert, zeigt die Fragilität menschlicher Identität im Angesicht von äußeren Bedingungen. Ills Schicksal ist nicht nur ein individuelles, sondern spiegelt das Kollektiv der Bürger wider, die sich schließlich zu Komplizen ihrer eigenen moralischen Korruption machen.

Dürrenmatt hinterfragt in „Der Besuch der alten Dame“ auch die Funktionsweise der Justiz und das Rechtssystem. Claire Zachanassians Forderung wird zur Metapher für eine Art von „Volksjustiz“, die die Ordnung umkehrt, da sie nicht nur die rechtlichen, sondern auch die moralischen Grundlagen der Gesellschaft ins Wanken bringt.

Dürrenmatt scheint zu sagen, dass im Angesicht von Geld und Macht die Grenzen zwischen Gut und Böse, Recht und Unrecht verschwommen sind. Dieses Spiel mit dem Recht und den Konsequenzen individuellen Handelns wird zusätzlich durch die Rolle des Chores, der als Kommentator fungiert, verstärkt.

Abschließend lässt sich festhalten, dass Friedrich Dürrenmatts „Der Besuch der alten Dame“ ein vielschichtiges Werk ist, das weit über seine Zeit hinaus relevant bleibt. Es konfrontiert den Zuschauer mit drängenden Fragen der moralischen Integrität, des Einflusses von Reichtum sowie den Dynamiken von Macht und Schuld.

Dürrenmatts Meisterschaft liegt darin, dass er komplexe Themen in eine dramatische Form bringt, die sowohl unterhaltsam als auch provokant ist. Somit lädt das Stück zur Reflexion über ethische Fragestellungen und die eigene Verantwortung in der Gemeinschaft ein, was es zu einem zeitlosen Klassiker der Theaterliteratur erhebt.

 

Ich habe nichts gegen Gesellschaftsordnungen, die partiell vernünftig sind, ich weigere mich nur, sie heilig zu sprechen und den gewaltigen Rest ihrer Unvernunft und ihrer Tabus als gottgegeben hinzunehmen: ich halte halbwegs vernünftige Gesellschaftsordnungen für verbeserungswürdig. Ich bin mit Sokrates der Meinung, die Größe eines Menschen liege darin, das Unrecht, das ihm widerfährt, ertragen können, es braucht jedoch soviel Größe dazu, dass ich es für meine politische Pflicht halte, alles zu versuchen, was einem Menschen hindert, in die Lage zu kommen, die Größe aufzubringen, ein solches Unrecht ertragen zu müssen. “ © Friedrich Dürrenmatt

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