Die Niere

Inszenierung Folke Braband
Bühnenbild & Kostüme Stephan Dietrich Dramaturgie Leonie Seibold

Martina Stilp Kathrin Martin Niedermair Arnold, Architekt Pilar Aguilera Diana, Apothekerin Oliver Huether Götz, Dianas Mann 

 

 

Stephan Vögels Stück „Die Niere“, das 2012 uraufgeführt wurde, ist ein herausragendes Beispiel für zeitgenössisches Theater, das sich mit existenziellen Fragestellungen und den moralischen Dilemmata des modernen Lebens auseinandersetzt. Durch die Kombination von schwarzem Humor, emotionalen Konflikten und tiefgründigen Dialogen gelingt es Vogel, die Zuschauer nicht nur zum Nachdenken anzuregen, sondern auch ihre Empathie für die Charaktere zu wecken.

In diesem theaterwissenschaftlichen Text wird die Struktur, die zentrale Thematik sowie die Charaktere analysiert, um die Tiefe und Komplexität der Fragestellungen, die das Stück aufwirft, zu verdeutlichen.

Die Niere“ ist in drei Akte unterteilt, wobei jeder Akt einen spezifischen emotionalen und dramatischen Höhepunkt bietet. Die Wahl dieser Struktur ermöglicht es dem Publikum, sich schrittweise in die komplexe Situation der Protagonisten hineinzuversetzen.

Das Stück beginnt mit einer prägenden Szene, in der der Hauptcharakter, der an einer schweren Krankheit leidet, die Dringlichkeit seiner Situation offenbart. Dies bildet die Grundlage für die Erkundung von Themen wie Leben und Tod, Solidarität und Egoismus.

Vögels geschickte Verwendung von Dialogen ist ein zentrales Element des Stücks. Die Gespräche zwischen den Charakteren sind oft geprägt von Ironie und Witz, was eine gewisse Leichtigkeit inmitten der ernsten Thematik schafft. Diese duale Struktur – das Zusammenspiel von Humor und Ernsthaftigkeit – verstärkt die emotionale Wirkung des Stücks und führt zu spannungsgeladenen Momenten, die das Publikum in ihren Bann ziehen.

Ein zentrales Thema von „Die Niere“ ist die Frage nach der Wertigkeit des Lebens und die moralischen Implikationen des Gebens und Nehmens. Der Titel selbst weist auf die symbolische Bedeutung des Organs hin, das sowohl für das physische Überleben als auch für verschiedene Beziehungen zwischen Menschen steht. Die Diskussion über Organspenden und die damit verbundenen ethischen Fragen zieht sich wie ein roter Faden durch das gesamte Stück.

Vögel stellt die Zuschauer vor die Frage: Was sind wir bereit zu opfern, um einen anderen Menschen zu retten? Diese Thematik wird nicht nur durch die Handlung, sondern auch durch die vielschichtigen Charaktere vermittelt, die unterschiedliche Perspektiven auf die genannten Fragen vertreten.

Ein weiteres bedeutendes Motiv in „Die Niere“ ist die menschliche Beziehung und deren Zerbrechlichkeit. Die Interaktionen zwischen den Charakteren, die oft von Unverständnis, Missgunst oder echter Zuneigung geprägt sind, zeigen die Komplexität von Beziehungen in Krisensituationen.

Besonders eindrucksvoll ist der konfliktgeladene Dialog zwischen den Freunden und Verwandten des Protagonisten, die jeweils ihre eigenen Ängste und Wünsche offenbaren. Hier zeigt sich, wie Schmerz und Sorge sowohl zusammenschweißen als auch auseinanderdriften können.

Die Charaktere in Vögels Stück sind vielschichtig und werden durch ihre individuellen Geschichten und Motivationen lebendig. Der Hauptprotagonist, dessen Name vielleicht absichtlich nicht genannt wird, ist ein Bild für die universelle menschliche Angst vor dem Sterben.

Sein Zustand zwingt ihn, sowohl über sein eigenes Leben als auch über seine Beziehungen zu reflektieren. Die Figuren, die ihm zur Seite stehen – Freunde, Familie und potenzielle Spender – stehen in einem ständigen Spannungsfeld, das von Hoffnung, Verzweiflung und moralischer Verantwortung geprägt ist.

Besonders interessant ist die Figur des besten Freundes, der sich als möglicher Organspender anbietet. Diese Entscheidung wird zum zentralen Konflikt des Stückes, da sie nicht nur seine Freundschaft zum Protagonisten auf die Probe stellt, sondern auch seine eigene Identität und Lebensentscheidungen infrage stellt. Über diesen Charakter erforscht Vögel die Themen Loyalität und Selbstaufopferung und stellt die Frage, inwieweit wir bereit sind, für andere zu leiden.

Stephan Vögels „Die Niere“ ist ein eindringliches und berührendes Stück, das grundlegende Fragen des Menschseins aufwirft. Durch die gekonnte Dramaturgie, die tiefgründigen Themen und die vielschichtigen Charaktere gelingt es Vogel, ein intensives Theatererlebnis zu schaffen, das beim Publikum nachhallt. Das Stück regt nicht nur zur Reflexion über persönliche und gesellschaftliche Moral an, sondern hinterlässt auch einen bleibenden Eindruck hinsichtlich der Bedeutung menschlicher Beziehungen in Zeiten der Not. In einer Zeit, in der die Herausforderungen des Lebens oft komplex und einschüchternd erscheinen, bietet „Die Niere“ einen wichtigen Beitrag zur Diskussion über Ethik, Solidarität und die Grenzen des Individuums.

„Erwartest du von mir, dass ich es tue? Ich meine – dir eine Niere zu spenden?
Kommt drauf an, wie du „erwarten“ definierst. Erwarten im Sinne von „glauben“ oder erwarten im Sinne von „verlangen“? – So was kann man gar nicht verlangen.“ Stückzitat © Stefan Vögel