Die Schutzbefohlenen

Inszenierung Michael Thalheimer 
Bühne Olaf Altmann Kostüme Katrin Lea Tag Chorleitung Marcus Crome Musik Bert Wrede Dramaturgie Klaus Missbach

Catrin Striebeck Christiane von Poelnitz  Sarah Viktoria Frick Andre Meyer Marcus Kiepe Daniel Sträßer Stefanie Reinsperger Thomas Reisinger Jasna Fritzi Bauer Alexandra Henkel Lucas Gregorowicz Tilo Nest Stefan Wieland Daniel Jesch Adina Vetter 

 

 

Elfriede Jelinek, Trägerin des Nobelpreises für Literatur, hat sich in ihrem Werk immer wieder mit gesellschaftlichen und politischen Themen auseinandergesetzt. In ihrem Stück „Die Schutzbefohlenen“ (2016) beleuchtet sie die Situation von Geflüchteten in der europäischen Gesellschaft und thematisiert die damit verbundenen Herausforderungen und Widersprüche. Diese Analyse zielt darauf ab, die zentralen Motive, die Struktur und die ästhetischen Mittel des Stückes zu untersuchen und ihre Relevanz im Kontext aktueller gesellschaftlicher Debatten herauszustellen.

Die Schutzbefohlenen“ ist ein fragmentarisches Theaterstück, das aus mehreren kurzen Szenen besteht, die nicht-linear angeordnet sind. Jelineks Text ist durch eine dichte Sprache und eine Vielzahl von Sprachspielen geprägt, wodurch die Stimmen der Protagonisten – überwiegend geflüchtete Menschen – und ihre Erfahrungen lebendig werden. Die Struktur des Stücks folgt einem chaotischen Fluss, der die Verzweiflung und die Unsicherheit der geflüchteten Figuren widerspiegelt. Diese Form spiegelt die instabile Realität wider, in der sich viele Migranten befinden, und vermittelt ein Gefühl der Desorientierung, das den Zuschauer zum Nachdenken anregt.

Ein wesentliches Merkmal des Stücks ist die Verwendung von Monologen und Dialogen, die oft in einer schlichten, direkten Sprache gehalten sind. Dies verstärkt die emotionale Wirkung und ermöglicht es dem Publikum, sich mit den Erfahrungen der geflüchteten Figuren zu identifizieren. Die Charaktere sind nicht nur Individuen, sondern verkörpern auch kollektive Erfahrungen und gesellschaftliche Probleme. Jelinek gelingt es, sowohl die persönlichen Tragödien als auch die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen eindringlich darzustellen, wodurch die Thematik der Migration und der Flüchtlingskrise in den Mittelpunkt gerückt wird.

Ein zentrales Thema in „Die Schutzbefohlenen“ ist das Verhältnis zwischen Macht und Ohnmacht. Jelinek setzt sich kritisch mit der Politik der Europäischen Union und den Institutionen auseinander, die oft als Beschützer auftreten, in Wirklichkeit jedoch die Schutzbedürftigen marginalisieren.

Die Protagonisten kämpfen um Anerkennung und Zugang zu einem menschenwürdigen Leben, während sie gleichzeitig mit Diskriminierung und Ausgrenzung konfrontiert sind. Diese Dualität wird in den Dialogen und den inneren Monologen der Figuren deutlich, die eine ständige Spannung zwischen Hoffnung und Verzweiflung verraten.

Darüber hinaus thematisiert Jelinek die Rolle der Sprache selbst. Die Verwendung von Sprache ist hierbei ambivalent; sie kann sowohl ein Instrument der Verständigung als auch ein Mittel der Manipulation sein. Die Figuren im Stück sind oft gezwungen, sich in einer ihnen fremden Sprache auszudrücken, was ihre Vulnerabilität unterstreicht. Diese sprachliche Barriere wird zum Symbol für die kulturellen und sozialen Hindernisse, die sie überwinden müssen. Gleichzeitig reflektiert Jelinek die Macht der Worte, die sowohl heilen als auch verletzen können.

Die Inszenierung von „Die Schutzbefohlenen“ bietet zahlreiche Ansätze zur Interpretation der Thematik. Jelinek lässt viel Raum für Regisseur*innen und Schauspieler*innen, um eigene Akzente zu setzen und das Stück an aktuelle gesellschaftliche Realitäten anzupassen. Die Bühnenbilder sind oft reduziert, was den Fokus auf die Darsteller und ihre Inhalte lenkt. Dies fördert eine unmittelbare Verbindung zwischen Publikum und Schauspielenden und verstärkt die emotionale Intensität der Darstellungen.

Die Verwendung von Multimedia-Elementen, wie Video-Projektionen oder Tonaufnahmen, kann ebenfalls eine große Rolle spielen. Sie eröffnen zusätzliche Perspektiven und ermöglichen es, die Vielschichtigkeit der Erfahrungen von geflüchteten Menschen visuell zu erfassen. Auch die Musik kann dabei zur emotionalen Atmosphäre beitragen, indem sie die Dramatik der Texte unterstreicht und die Zuschauer*innen in die Stimmung des Stücks einführt.

Die Schutzbefohlenen“ von Elfriede Jelinek ist ein eindringliches und vielschichtiges Werk, das die komplexen Themen Migration und Flüchtlingspolitik auf eine Weise behandelt, die sowohl aktuelle gesellschaftliche Probleme anspricht als auch zeitlose menschliche Fragen aufwirft.

Durch ihre innovative Struktur, die sprachliche Dichte und die emotionale Kraft ihrer Figuren gelingt es Jelinek, das Publikum zum Nachdenken über das eigene Verhältnis zu diesen Themen anzuregen. Das Stück fordert dazu auf, die eigene Haltung zu hinterfragen und sich mit der Realität der Schutzbedürftigen auseinanderzusetzen.

Damit bleibt „Die Schutzbefohlenen“ auch in der heutigen Zeit ein bedeutendes und relevantes Werk im deutschen Theater, das die Notwendigkeit einer kritischen Auseinandersetzung mit Fragen der Zugehörigkeit und des Schutzes eindringlich verdeutlicht.

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